Musiklexikon: Was bedeutet Organum?

Organum (1882)

Organum

  1. griechisch: ὄργανον [organon], bedeutet zunächst nur Werkzeug (Organ), spezieller aber Musikinstrument und dann das "Instrument der Instrumente", die Orgel (siehe dort).
  2. Die älteste und primitivste Art mehrstimmiger Musik, bestehend in einer fortgesetzten Parallelbewegung der Stimmen in Quinten oder Quarten (auch Diaphonie genannt). So entsetzlich dem heutigen Musiker der Gedanke einer derartigen Musik erscheint, so ist dieselbe doch nicht nur ein historisches Faktum, sondern auch das durchaus natürliche Übergangsglied zur eigentlichen mehrstimmigen Musik. Das Organum war eigentlich noch nicht wirkliche Mehrstimmigkeit, sondern Quintenverdoppelung, der natürlichste weitere Schritt von der längst im Altertum geübten Oktavenverdoppelung der Stimmen. Es führte aber bald zur Entdeckung des wahren Prinzips der Mehrstimmigkeit, der Gegenbewegung (siehe Discantus).
    O. Paul hat sich vielfach bemüht, nachzuweisen, dass das Organum nicht ein gleichzeitiges Singen in Quinten oder Quarten gewesen sei, sondern ein antiphonisches (abwechselndes), und der Gedanke ist ihm vielfach nachgeschrieben worden. Seine völlige Unhaltbarkeit und Grundlosigkeit geht aber nicht nur aus der ganz sukzessiven Entwicklung des Organums zum Diskantus, die durch zahlreiche Beispiele belegt ist, sondern auch aus den ältesten Definitionen der Theoretiker zur Genüge hervor. Das älteste Organum ist durchaus Note gegen Note gesetzt, mit Ausnahme der Fälle, wo die Organumstimme auf c liegen bleibt. Dagegen versuchte man später auch die organisierenden Stimmen zu diminuieren (vergleiche Orgelpunkt), wobei sich natürlich die Unentbehrlichkeit bestimmter Dauerzeichen herausstellte; man nannte aber die unzulänglichen erste Versuche noch Organum.

[Riemann Musik-Lexikon 1882, 653]

Organum (1865)

Organum.

  1. Ein Instrument, künstliches Klangwerkzeug im Allgemeinen. Organa empneusta, Blasinstrumente; organa entata, Saiteninstrumente.
  2. Die Orgel insbesondere.
  3. Der auch unter dem Namen Diaphonie und Symphonie bekannte älteste mehrstimmige Gesang, von welchem der Mönch Hucbald zu St. Amand in Flandern (gest. 930) in seinem Traktat Musica enchiriadis (Gerbert, Script. I) ausführlich handelt und Beispiele gibt.

Hucbald gilt für den Erfinder desselben, wenigstens hat man keine verbürgten Nachrichten, dass schon vor ihm eine Singart in gleichzeitigen verschiedenen Intervallen bekannt gewesen sei. Jedenfalls sind seine Beispiele die ältesten, welche uns aufbehalten sind. Aus dem hierauf näher eingehenden Artikel Diaphonie ist bekannt, dass jene Stimmenmehrheit zweifacher Art war. Die eine bestand aus ununterbrochenen Parallelen von Quinten und aus Oktavverdoppelungen derselben entstehenden Quarten; die andere enthielt auch andere Intervalle, wie aus den [im Artikel Diaphonie] gegebenen Beispielen ersichtlich. [Dommer Musikalisches Lexicon 1865, 639f]