Nachahmung (1807)
Nachahmung. Wenn ein melodischer Satz unmittelbar wiederholt und dabei in eine andere Stimme versetzt wird, so nennt man ihn eine Nachahmung. Die gebräuchlichsten Nachahmungen sind folgende:
- Die Nachahmung in der Oktave, und zwar entweder in der höheren oder tieferen Oktave (imitatio in hyper- oder hypodiapason), wenn die Wiederholung des Satzes in einer anderen Stimme eine Oktave höher oder tiefer geschieht, wie z. B. bei [folgender] Fig.:
- Die Nachahmung in dem Einklange (imitatio in unisono oder imitatio homophona), wenn der melodische Satz in einer anderen Stimme auf ebenderselben Tonstufe wiederholt wird. Setzt man die tiefere Stimme bei [obiger] Fig. um eine Oktave höher, so hat man ein Beispiel einer solchen Nachahmung,
- in der Quinte (imitatio in hyper- oder hypodiapente), wenn die Wiederholung des Satzes in einer anderen Stimme eine Quinte höher oder tiefer geschieht;
- in der Quarte (imitatio in hyper- oder hypodiatessaron), wenn der Satz in einer anderen Stimme eine Quarte höher oder tiefer vorgetragen wird:
- in der Terz (imitatio in hyper- oder hypoditono), wenn der Satz von der anderen Stimme eine Terz höher oder tiefer vorgetragen wird;
- in der Sexte (imitatio in hexachordo superiori oder inferiori) […];
- in der Sekunde (imitatio in secunda superiori oder inferiori) […];
- in der Septime (imitatio in heptachordo superiori oder inferiori) […];
In diesen verschiedenen Nachahmungen trägt die nachfolgende Stimme das Steigen und Fallen der melodischen Töne in eben der Ordnung vor, wie die vorhergehende, und eine solche Nachahmung pflegt man überhaupt eine Nachahmung in gleicher Bewegung, imitatio aequalis motus, zu nennen. Man ahmt aber auch zuweilen einen melodischen Satz dergestalt nach, dass die steigenden Intervalle der vorhergehenden Stimme in fallende und die fallenden in steigende verwandelt werden. Und dann nennt man einen solchen Satz eine Nachahmung in der Gegenbewegung, imitatio inaequalis motus, z. B.:
Zuweilen wird sogar der Satz in einer anderen Stimme rückwärts, das ist, vom Ende nach dem Anfange zu, nachgeahmt, wie bei [folgender] Fig.
und dann wird die Nachahmung eine rückgängige Nachahmung, imitatio per motum retrogradum oder imitatio cancrizans, genannt. Wenn hierbei noch überdies die Gegenbewegung angebracht wird, so entsteht die sogenannte verkehrte rückgängige Nachahmung, imitatio cancrizans moto contrario.
Endlich wird ein melodischer Satz zuweilen auch in vermehrter oder verminderter Geltung der Noten nachgeahmt. Geschieht es in vergrößerter Notengeltung, wie bei [folgender] Fig.,
so nennt man den Satz eine vergrößerte Nachahmung, imitatio per augmentationem; geschieht aber das Gegenteil, wie bei [folgender] Fig.,
so bekommt er den Namen verkleinerte Nachahmung, imitatio per diminutionem.
Von solchen Nachahmungen, die man insbesondere musikalische Malerei nennt, ist schon in dem Artikel Gemälde gehandelt worden. [Koch Handwörterbuch Musik 1807, 238ff]