Lyra (1855)
Die Lyra. Ebenfalls ein uraltes Instrument, das sich aber nicht wie die Harfe in die neuere Zeit in so hohem Wert erhalten hat. Die Erfindung wird dem Hermes oder Mercurius zugeschrieben, und zwar nach einer alten Sage, welche sich im Virgil Cap. XV. vorfindet, ungefähr in folgender Weise:
Mercurius stieß einst, bei einem Spaziergange an den Ufern des Nils, an eine Schildkrötenschale, welche dieser Fluss bei einer Überschwemmung angespült hatte, und die nun nach dem Zurücktreten des Wassers an dem Ufer liegen geblieben war. Von dem ehemaligen Bewohner dieser Schale war nichts mehr übrig, als die von der Sonne ausgetrockneten Sehnen, welche ausgespannt darin fest an der Schale hingen, so dass durch den Anstoß ein Ton bemerkbar wurde. Dieser Ton brachte den Merkur auf den Gedanken, getrocknete Tiernerven zwischen zwei Ziegenhörner zu spannen, woher sich ihre erste Figur ableitet.
Zuerst bespannte Merkur sein Instrument mit drei Sehnen, wie Figur 2 zeigt [siehe Abb. oben]. Es sollte dies das Sinnbild der drei Jahreszeiten vorstellen, welche man damals in Frühling, Sommer und Winter teilte. Später vermehrte man die Saiten bis zu sieben, womit das Siebengestirn bezeichnet wurde; dann bis neun, als Sinnbild der Zahl der Musen, und zuletzt bis auf zwölf.
Mit der Vermehrung der Saiten erhilet das Instrument nun auch verschiedene Formen. Man gab ihm z. B. einen hohlen Körper in dreieckiger, viereckiger oder runder Gestalt, mit Schallloch versehen, dem man herrliche Verzierungen von Schnitz- und Laubwerk zufügte, das nicht selten aus Gold, Silber und Elfenbein gearbeitet wurde.
Fig. 3 [Abb. oben, 2. von links] zeigt eine Lyra von der Rückseite. Fig. 4 soll die Lyra Amphions vorstellen; 5 ist eine verbesserte Lyra nach neuem Stil.
Dass die Lyra vor Alters ein sehr beliebtes Instrument war, welches man bei besonderen Festlichkeiten und gottesdienstlichen Handlungen gebrauchte, bezeugen viele Sagen, welche uns in der Geschichte aufbewahrt sind.
Besonders wird sie als Lieblingsinstrument des göttlichen Musikers Apollo (von Bürger der Leyermann genannt) bezeichnet. Bis jetzt hat sie sich zwar als Tonwerkzeug erhalten, allein sie scheint in Beibehaltung ihrer Grundform keiner besonderen Verbesserung fähig zu sein, ohne daraus ein anderes Instrument zu schaffen. Sie kommt deshalb auch kaum mehr als wirkliches Instrument anders als nur symbolisch in Anwendung. [Welcker von Gontershausen Magazin 1855, 63ff]