Andante (1870)
Andante (ital.), eine Vortragsbezeichnung, welche, dem zu Grunde liegenden Zeitwort gemäß, eine gehende, gemächliche Bewegung bedeutet. Es ist demgemäß:
- andante ein Zeitmaß und als solches der dritte Hauptgrad der musikalischen Bewegung, welches zwischen dem Adagio und Allegro die Mitte hält und erfordert im Vortrage den Ausdruck der Gelassenheit und Ruhe. Noch nähere Bezeichnungen geben diesem allgemeineren Charakter eine bestimmtere Richtung, zum Beispiel Andante mosso, Andante maestoso, Andante sostenuto usw. (siehe Tempo).
- die Benennung eines Tonstücks eben beschriebener Art. Als solches ist es entweder selbstständig (ein Andante in C, f, B-Dur), oder es steht in Verbindung mit koordinierten Sätzen größerer Werke, wie Sinfonien, Quartette, Sonaten usw. (siehe Adagio). Es tritt dann in der Regel als zweiter, seltener als dritter Satz des Werkes auf.
Der Vortrag erfordert eine gemäßigte, in keiner Beziehung leidenschaftlich erregte Gefühlsbewegung. Scharfe Akzentuation und starker Anschlag, wie der pathetische Vortrag sie verlangen, sind zu vermeiden, gleicherweise aber auch die Monotonie des Ausdrucks. Diese Erfordernisse sind es, welche den guten Vortrag des Andante, ebenso wie den des Adagio, so schwer machen. Modifikationen der eben gegebenen Vorschriften, wie sie die wechselnde Empfindung des Tonsetzers verlangt, werden am besten vom Komponisten selbst vorgeschrieben.
Für viele Tonstücke, deren Charakter an und für sich bestimmt ist, hat das Wort Andante zwar nur die Bedeutung einer Tempobezeichnung. Immerhin wird aber auch hier das Zeitmaß durch den Inhalt bestimmt, demgemäß also auch die Vortragsart. Alles, was von der Schwierigkeit der Komposition und von der verhältnismäßigen Seltenheit eines guten Adagio namentlich heutzutage gilt [um 1870], findet auch auf das Andante Ausdehnung, welches in neuster Zeit nur zu häufig der Sammelpunkt weichlicher, leerer Phrasen von mehr sentimentaler als elegischer Färbung geworden ist, an dem man eine ruhigen, ununterbrochenen Fluss der Idee schmerzlich vermisst. [Mendel Musikalisches Lexikon 1870, 214]