Adagio (1879)
Adagio (ital.), langsam, gedehnt, gemäßigt, sanft, mit Bequemlichkeit; in der Musik eine Bewegung, die langsamer als lento (siehe dort), also zwischen larghetto und andantino steht.
Adagio bezeichnet aber auch eine eigene Art von Kompositionen. Diese drücken zärtliche, traurige, rührende Empfindungen aus. Sie haben daher einen sehr gemessenen, langsamen Gang mit Hinweglassung alles Gekünstelten; daher zu schroffe, zu kühne Modulationen wegfallen, dagegen sehr nahe verwandte Harmonien, enharmonischer Tonwechsel, eintreten müssen. Das Schmelzende, Leidenschaftliche in dem Adagio gestattet daher auch nur Kürze des Tonstücks, nie Dehnung, was Langeweile erregen und somit zur Vernichtung des ganzen gewonnenen Eindrucks führen könnte. Beim Vortrag des Adagios sind daher alle Manieren, Verzierungen zu vermeiden, dagegen ist ein recht inniges Verbinden, Verschmelzen, Tragen der gut akzentuierten Töne zu erstreben.
In den größeren Werken der Instrumental- und Kammermusik findet sich gewöhnlich der zweite und dritte Satz mit diesem Namen (Adagio) bezeichnet. Er dient als notwendiger Kontrast gegen die rasche und stürmische Bewegung der ihm vorausgehenden und folgenden Sätze. Es muss, wie vorhin gesagt, das Adagio in einer schweren, langen Taktart geschrieben sein, teils um singbare, empfundene Kantilenen zu schaffen, teils um einer lebhaften Figuration Raum zu gönnen. Diese lebhafte Bewegung in kleinen begleitenden Figuren ist aber darum nötig, weil ein fortgesetztes ruhiges Einherschreiten Eintönigkeit erzeugen würde.
Der gute und richtig empfundene Vortrag eines Adagios ist der sicherste Prüfstein der Leistungen des Musikers und Sängers. Es muss hier alles zusammenwirken, schöner vollendeter Ton, richtiges Verstehen der Kantilene bis in ihre kleinsten Phrasen, sorgfältiges Abmessen der dynamischen Effekte. [Riewe Handwörterbuch 1879, 8f]