A moll (1870)
A moll [A-Moll] ist die auf A gebaute Tonart des modernen abendländischen Tonsystems, welche der äolischen Oktavengattung der Griechen (siehe äolische Tonart) nachgebildet worden ist: Sie erscheint in ihrer auf- wie absteigenden Stufenfortschreitung dem diatonischen Klanggeschlechte angehörig und bedarf keiner Veränderung in der Benennung, noch Feststellung der sogenannten Naturtöne unseres Tonsystems von A ab.
In der Neuzeit erkor man aus der Zahl der griechischen Oktavengattungen nur zwei, die äolische und jonische der Griechen, zum ferneren praktischen Gebrauch, nach welchen man, deren Intervallanordnung der Skala auf jede andere Tonstufe des ganzen Systems zu gleichem Tonaufbau übertragend, je 24 Tonarten bildete. Indessen sind es eigentlich nur 12, da jede Stufe zwar doppelt benannt werden kann, doch beide Benennungen nur für einen Klang dienen sollen (siehe Temperatur). Die Tonarten sollen in ihrem organischen Bau einander vollkommen gleich sein und nur durch die höhere oder tiefere Lage des Anfangstones derselben voneinander sich unterscheiden, wobei als Norm für die sogenannte weiche, mollis, oder Mollgattung die Stufenfolge der A-Moll-Tonart: A, H, c, d, e, f, g, a aufgestellt wurde: Jedes Tonstück in dieser Tonart wird ohne Vorzeichnung notiert. Indem man jede Tonart der Mollgattung, welche gleicher Erhöhung oder Erniedrigung zur Herstellung der Töne ihrer Tonleiter bedarf wie eine Tonart der Durgattung, eine parallele Tonart der anderen, also der Durgattung, nennt - und umgekehrt - so bezeichnet man auch die A-Moll-Tonart, weil sie eben wie die Normal-Tonart der Durgattung, C-Dur, gar keiner Vorzeichnung bedarf, als Mollparallele von C-Dur.
Auch um durch die Fortschreitung im sogenannten Quintenzirkel die Folge der Tonarten gleicher Gattung zu suchen, welche zur Erzeugung ihrer Tonleiter stets nur eine Stufe mehr zu erhöhen oder zu erniedrigen haben, ist A-Moll - Normal-Tonart der Mollgattung - als erste anzusehen, von deren Grundtone aus jede aufwärtssteigende Quinte der Grundton zu einer anderen Molltonart wird, bei welcher eine neue Erhöhung eintritt, um den ersten Ganzton [Ganztonschritt] zu schaffen, da alle anderen Skalastufen normal sind. Während umgekehrt jede abwärtssteigende Quinte von A ab der Grundton zu einer Molltonart wird, welche die sechste Stufe zu erniedrigen fordert, um diese der Normalgattung nachzuschaffen, indem alle anderen Tonstufen derselben der Regel entsprechen.
Beachtet man nun die Skala irgendeiner Art der Mollgattung akustisch, so findet man dieselbe stets in zweifacher Art im Gebrauch: nämlich in der sogenannten gleichtemperierten Folge, welche uns von jedem Instrument, dessen Töne nicht von dem Empfinden des Spielers abhängig sind (z. B. von den Tasteninstrumenten), gewöhnlich geboten wird; dann aber auch in der diatonischen Folge, welche sich stets annähernd von selbst ergibt, sobald die Tonbildung von dem Empfinden des Tonzeugers [Musikers] abhängig ist (z. B. beim Gesang, bei den Streich- und teilweise auch den Blasinstrumenten). Der akustische Unterschied der Töne in beiden Skalen gibt sich zwar nur in geringer Abweichung derselben voneinander kund, doch ist er bedeutend genug im Verein mit den den Moll-Tonarten eigenen Modulationen, um der Grund zu sein, weshalb Musikstücke, in einer Moll-Tonart gesetzt, von Vokalstimmen usw. ausgeführt, schwer in durchaus reiner Intonation auszuführen sind, da die einzelnen Tonerzeuger die diatonische Skala leicht zu subjektiv zu geben sich bemühen und dieselbe nicht nach den miterklingenden Tönen temperieren.
Die natürliche Folge davon ist, dass, wenn z. B. von einem Gesangsquartett ein Musikstück in einer Molltonart vorgetragen wird, die Sänger nicht überall rein gesungen haben, wenn sie korrekt in der Tonhöhe schließen, in der sie anfingen. Und umgekehrt, dass, wenn sie überall rein intonierten, sie nicht mit dem Tone enden können, mit welchem sie begannen.
Wie abweichend jedoch diese Tonleitern voneinander und von der Mutterskala, der äolischen, sind, mag folgende Tabelle klar darlegen:
Wenn man nun die Moll-Tonart in ihren heutigen Eigenheiten beobachtet, so stellen sich in der Tonleiter derselben besondere, oft wiederkehrende Veränderungen heraus, welche sich in dem von der Quinte e bis zur Oktave a aufwärtsschreitenden Fortgange derselben offenbaren, die als solche der ganzen Mollgattung eigen sind und den Hauptunterschied zwischen der äolischen Oktavengattung der Griechen und dem heutigen A-Moll ausmachen. Ob aber diese Veränderungen so zur Tongattung gehören, dass sie als notwendige Bedingungen schon in der normalen Tonleiter, wie es manche für Recht erachten, aufgestellt werden müssen, ist wohl zu bezweifeln, da dieselben in ihren Einzelheiten nicht allein von dem Empfinden des Individuums abhängig sind, sondern diese Veränderungen auch noch außerdem so vielfacher Art sein können, als es fast Tonkombinationen in dem oben erwähnten Teile e...a der A-Moll-Skala gibt, und dieselben mit Bestimmtheit nur in der Harmonie dieser Tonart gefordert werden, während der melodische Tongang oft ganz rein von dieser Veränderungsweise erscheint.
Der moderne Melodienschluss nämlich erfordert in seinem vollständigen Ausdruck, dass man vor dem Erscheinen des Schlusstones einer Melodie überhaupt, der Tonika, den darüberliegenden Ganz- und den darunterliegenden Halbton, hier also gis, zu hören bekommt, woraus die Gewohnheit für die aufwärtsgehende A-Moll-Tonleiter auf der siebenten Stufe gis satt g einführte, welches Intervall man jedoch beim abwärtsgehenden Melodiengange für gewöhnlich wieder zu g erniedrigt. Damit nun dieses in der aufwärtssteigenden A-Moll-Skala eintretende gis nicht ein in der modernen abendländischen Musik ungebräuchliches Intervall von der sechsten zur siebenten Stufe (f...gis) einführe, was auch den Begriff der Diatonik dieser Skala aufheben würde, so hat man, um nicht die Zahl von sieben Stufen in der Oktave zu überschreiten, sich bewogen gefühlt, die sechste Stufe (f) auch noch aufsteigend zu fis zu erhöhen, welche aber im Herabgange ebenfalls wieder erniedrigt (f) wird. Es heißt somit diese Art der A-Moll-Tonleiter
aufsteigend: A, H, c, d, e, fis, gis, a und
absteigend: a, g, f, e, d, H, A.In neuester Zeit überschreitet man auch noch selbst oft die Zahl von sieben Tonstufen in der Oktave beliebig in der aufsteigenden Molltonleiter, indem man von der Dominante ab chromatisch oder diatonisch-chromatisch aufwärts schreitet, welche Folge dann noch die Eigenheit hat, dass sie auch abwärtsgehend in gleicher Art gebraucht und vielfach variiert werden kann. Hier nur beispielsweise einige dieser Abarten der A-Moll-Tonleiter,
aufsteigend: A, H, c, d, e, f, fis, g, gis, a und
absteigend: a, gis, g, fis, f, e, d, c, H, A; oder
aufsteigend: A, H, c, d, e, f, g, gis, a und
absteigend: a, gis, g, f, e, d, c, H, A; oder
aufsteigend: A, H, c, d, e, f, fis, gis, a und
absteigend: a, g, f, e, d, c, H, A; usw.Alle diese Modifikationen der A-Moll-Tonleiter oder Abarten derselben, welche eine Erhöhung der Naturtöne erfordern, sind jedoch nur zufällige Veränderungen derselben und müssen deshalb wohl bei der Feststellung der eigentlichen Norm der A-Moll-Skala insbesondere wie der der Tonleitern der Mollgattung überhaupt ausgeschlossen bleiben; sie finden jedoch ihre rationelle Erklärung durch die verschiedenen Artikel Modulation, Moll-Tonarten, Semitonium modi usw.
In der Zeit, als man den Tonarten noch die Gewalt beimaß, psychische Begriffe auszudrücken, hat Schubart in seinen "Ideen zu einer Aesthetik der Tonkunst", S. 377ff, den Moll-Tonarten überhaupt den Charakter einer in irgendwelcher Beziehung betrübten Stimmung zugesprochen, so dass keine zum Ausdruck eines kräftigen, entschiedenen und klaren Gefühls fähig wäre. Der A-Moll-Tonart insbesondere hat er die Eigenart abempfunden, dass sie zu Darstellungen geeignet wäre, wie: fromme Weiblichkeit und Weichheit des Charakters; eine gewisse Gutmütigkeit, die sich willig und ohne der Herrschaft des Verstandes sich unterworfen zu haben, allen Eindrücken überlässt, welche äußere oder innere Gegenstände auf sie hervorbringen, und daher sowohl zu Scherz als Ernst, zu Freude wie Trauer gestimmt ist, stets aber untermischt mit jenem ernsten Grundzuge unschuldiger und leidenschaftsloser Weiblichkeit sich kundgibt. Jetzt aber schreibt man Musikstücke vorzüglich in A-Moll, wenn sich darin besonders Instrumente geltend machen können, welche viele Töne dieser Skala im Bereich ihrer Naturtöne haben. [C. B. in: Mendel Musikalisches Lexikon 1870, 204ff]