Oboe, Hoboe (1877)
[…] Der Klang der Oboe ist von großer Eindringlichkeit und Schärfe, deshalb ist sie auch für die Militärkapellen von wesentlicher Bedeutung. Bezeichnet man doch nach ihm die Mitglieder der Infanteriemusikchöre als Hautboisten (Oboisten). Auch treten die Registerunterschiede bei diesem Instrument noch schärfer hervor als bei der verwandten Klarinette. Die unteren Töne bis f1 sind einschneidend scharf und werden leicht blökend, schnarrend und näselnd; die oberen von c2 an leicht schreiend. Besonders aus dem Grunde klingen Passagen und Arpeggien von weitem Umfange, die rasch diese verschiedenen Register durcheilen oder anstreifen, nur bei ganz virtuoser Ausführung gut. Inniger Gesang, feine zierliche Melodie und Figuren von nur prickelnder Lebendigkeit entsprechen ihrem Charakter am besten. Dabei bringt sie mit ihren scharf einschneidenden Tönen und dem sich von allen anderen Instrumenten entschieden abhebenden Klang vortreffliche Mittel zur feineren Charakteristik dem Orchester hinzu. In diesem nimmt sie zunächst die vermittelnde Stellung zwischen Flöten und Klarinetten ein, der gleichartigere Klang dieser beiden Instrumente lässt sich sehr leicht verbinden, und dazwischen tritt dann der Oboenklang mit dem großen Reiz der Gegensätzlichkeit. Er gibt dem süßen, weichen und quellenden Klang jener beiden Instrumente mehr Charakter, ein mehr anreizendes, pikantes Kolorit. Dass sie auch und zwar vorwiegend melodieführend auftritt, ist nach dem bisher Erörterten klar, und namentlich als Soloinstrument ist sie von unseren großen Meistern zu herrlicher Wirkung gebracht worden. Die zierlichste Koketterie entfalten beide Oboen in dem Sätzchen aus Beethovens Fantasie op. 80, in welchem sie das Hauptmotiv des später eintretenden Chors variieren:
Mit großer Innigkeit gepaart erscheint diese Eigentümlichkeit des Instruments in der B-Dur-Arie der Hanne aus Haydns "Jahreszeiten": "Welche Labung für die Seele". Dies Werk bietet noch mehr charakteristische Oboen-Solis, wie das den Hahnenschrei ergötzlich nachahmende. Auch in Haydns Sinfonien gewinnt die Oboe vielfach die Bedeutung eines Soloinstruments. Weit ausgeführte Oboen-Solis finden wir ferner bei Beethoven, wie in der Arie der Marzelline im "Fidelio" oder im dritten Zwischenakt der Musik zu "Egmont", in der Sinfonie eroica im Trauermarsch oder in der 6., 7., 8. und 9. Sinfonie. Auch Mozart wendet sie in derselben Weise häufig an. Bei Johann Sebastian Bach wird sie häufig als obligates Begleitungsinstrument konzertierend eingeführt, wie in der Arie der Matthäus-Passion "Ich will bei meinem Heiland wachen", oder in der Kantate "Jesus nahm zu sich die Zwölfe", und auch Gluck hat vielfach durch ein Oboen-Solo einzelnen Sätzen erst die rechte künstlerische Bedeutung gegeben, wie der Arie "O lasst mich Tiefgebeugte weinen" aus "Iphigenie in Tauris".
Wann die Umwandlung der Schalmei zur Oboe vorgenommen worden ist, dürfte kaum mehr zu ergründen sein. Dass im Anfange des vorigen Jahrhunderts [18. Jh.] ihre Technik schon ziemlich weit entwickelt war, beweisen die Konzerte für Oboe von Händel (1738 gedruckt) und die erwähnten Arien mit obligater Oboe aus dieser Zeit. Als ausgezeichneter Oboenbläser wird Gaillard genannt. In Paris galten die Brüder Besozzi als vortreffliche Oboer (1738). Das Instrument war in jener Zeit in zwei Größen vorhanden, die Oboe bassa, Grand Hautbois, die eine Terz tiefer stand (in A) als die Oboe piccolo, unsere gewöhnliche Oboe. […] [Mendel/Reissmann Musikalisches Lexikon 1877, 313ff]