Glasharmonika (1855)

Die Glasharmonika. Dass gewöhnlichen Trinkgläsern durch Überstreichen des Randes mit nassen Fingern Töne entlockt werden konnten, die sich mittels mehr oder weniger Wasserfüllung erhöhen und erniedrigen ließen, wusste man seit vielen Jahrhunderten. Kircherus [Athanasius Kircher] stellte schon im Jahr 1684 in seiner neuen Hall- und Tonkunst eine förmliche Theorie über die Art der Gläserfüllung auf, die er sogar auf Seite 136 durch eine Zeichnung anschaulich machte [siehe nachfolgende Abb.].

Glasharmonika-Experiment Athanasius Kircher

Glasharmonika-Experiment von Athanasius Kircher

Auf Seite 134 ist ungefähr folgendes zu lesen:

Experimentum I. "Man nehme ein Trinkglas und fülle dasselbe mit klarem Wasser, darnach fahre man mit einem benetzten Finger sanft über den Rand desselben, so wird man einen artigen Metallklang hören, wobei das bewegte Wasser so gekräuselt und rollend wird, als wenn es starke Winde trieben. Macht man das Glas halb voll, so hört man den Ton noch so hoch als denjenigen bei gefülltem Glas, so dass beide Töne eine Oktave bilden. Die gekräuselte Bewegung des Wassers wird dabei sichtbar geschwinder. Teilt man nun das Glas in fünf gleiche Teile ab und füllt drei Teile an, so vermindert sich die Bewegung des Wassers, und man hört eine Quinte usw."

Der Gedanke jedoch, ein brauchbares und umfangreichens Instrument daraus zu bilden, entwickelte sich erst 1768 bei dem Buchdrucker Benjamin Franklin, Erfinder der Blitzableiter, geboren 1704 zu Boston in Nordamerika, als er im Wirtshaus den Irländer Buckeridge ein musikalisches Experiment mit Gläsern machen sah. Franklin ließ sich glockenförmige Glasschalen in abnehmender Größe, oben mit einem Loch versehen, anfertigen und befestigte dieselben übereinander auf einer Spindel, so dass sie zwar ineinander lagen, aber doch keine die andere berühren konnte, Diese Spindel legte er in ein länglich viereckiges Kästchen mit halbrundem Deckel, das auf einem Fußgestell ruhte. Unter dem Kästchen ist ein Schwungrad zum Treten angebracht, womit der Glockenspindel in kreisförmige Bewegung gesetzt wird. Der Kreislauf der Glocken geht gegen den Spieler, und benetzte Finger, welche an die Glasglocken gehalten werden, erzeugen unmittelbar den Ton. Franklins Bemühung wurde bekanntlich mit dem besten Erfolg gekrönt; die Glasharmonika, mit ihren nervenerschütternden Tönen war durch diese Einrichtung erfunden.

Das Instrument eignet sich besonders zu Choral und Adagio. Geschwinde Sätze sind jedoch äußerst schwierig darauf auszuführen. Der Tonumfang geht gewöhnlich vom ungestrichenen c bis dreigestrichenen f in chromatischer Tonfolge.

Hessel, ein geschickter Mechanicus in Berlin gab im Jahr 1775 dem Corpus die Gestalt eines Schreibpults und brachte eine Klaviatur daran an. Die Glocken ließ er durch Tangenten berühren. Auch vermehrte er den Tonumfang in der Höhe und Tiefe.

Der Abt Mazzuchi bemühte sich aus Zartgefühl für nervenschwache Damen einen sanfteren, weniger die Nerven angreifenden Ton hervorzubringen. Er strich in dieser Absicht die Glasglocken mit zwei Violinbogen, deren Haare mit einer Mischung von Seife, Wachs und Colophonium überstrichen waren. Die Glocken befestigte er in einem zwei Fuß langen Kästchen. Auch machte er Versuche mit Holzglocken, aus denen sich Flötentöne ergaben. Siehe Forkels Almanach von 1782.

Klaviaturharmonika von Röllig

Glasharmonika mit Klaviatur von Karl Leopold Röllig

Röllig, ein Tonkünstler in Berlin, dem von Einigen auch die Erfindung der Tastatur an der Glasharmonika zugeschrieben wird, richtete das Instrument 1786 so ein, dass es beliebig mit der Tastatur und mit den Fingern gespielt werden konnte. Röllig gab auch ein Schriftchen von vier Bogen in Quart heraus, worin er die erstaunenswürdigsten Wunder über seine Harmonika deklamiert. Nach Bemerkungen über Berliner Musik soll ihm aber unter allen Wirkungen, welche sein Spiel hervorbrachte, die am besten gelungen sein, die Zuhörer durch lauter verminderte Septimen und unzusammenhängende Akkorde zum Davonlaufen zu zwingen.

Klein, ein Professor in Pressburg, teilte die Geschwindigkeit des Kreislaufs der Glocken in drei Teile, nämlich: Bass, Mitte und Diskant. Während der Bass sich einmal drehte, drehte sich die Mitte zweimal, der Diskant dreimal. Die Tangenten überzog Klein mit Waschschwamm.

Glasharmonika von Franklin

die Glasharmonika bzw. zunächst einfach "Harmonica" von Benjamin Franklin

Die Franklinsche Einrichtung wird indes von Kennern allen diesen Änderungen, die so gern Erfindungen (?) genannt werden, vorgezogen, indem auf ihr die Modifikation des Tons am besten ausgeübt werden kann. Man findet dieses Instrument, dessen Klangfarbe bei guter Behandlung eine hohe Wirkung äußert, jetzt sehr selten, wahrscheinlich weil viele unserer nervenschwachen Damen dadurch zu sehr angegriffen werden. [Welcker von Gontershausen Magazin 1855, 190ff]